Die Zukunft der Yard-Logistik: Pilotprojekt stellt digitale Lösungen für automatisiertes Fahren vor

Auf dem Logistik-Yard der BSH Hausgeräte GmbH in Giengen an der Brenz wird mit Hochdruck an Zukunftsthemen des Frachtverkehrs geforscht. Davon machten sich Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Wirtschaft nun bei einer Live-Demonstration ein Bild. Die DHBW Heidenheim stellt die wissenschaftliche Begleitung des Projekts sicher.

Fachkräftemangel, Dekarbonisierung, Sicherheit: Es sind vielfältige Themen, die derzeit die Logistikbranche umtreiben. Der Stellvertretende Ministerpräsident und Digitalisierungsminister Thomas Strobl verschaffte sich nun in Giengen an der Brenz als Teil einer Delegation aus Politik und Wirtschaft einen Überblick über mögliche Lösungsansätze. Zum Vor-Ort-Termin hatte das Projektkonsortium von YardManagementHDH geladen.

In diesem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Forschungsprojekt dreht sich seit Anfang 2022 alles um die genannten Herausforderungen. Ein interdisziplinäres Team erforscht vor Ort, wie digitale Lösungen auf Basis der 5G-Mobilfunktechnologie die Yard-Logistik fit für Morgen machen können: Um sicherzustellen, dass Logistikprozesse und Lieferketten trotz drastischem Personalmangel effizient funktionieren und mit den Ansprüchen an Umweltverträglichkeit sowie heutigen Sicherheitsstandards vereinbar sind.

„Hier wird echte Pionierarbeit geleistet. Das Projekt YardManagementHDH ist ein gutes Beispiel für die Anwendung von modernster 5G-Mobilfunktechnik im Bereich der Logistik und zeigt einmal mehr: In Baden-Württemberg schlägt das Innovationsherz Europas. Als Digitalisierungsminister freue ich mich besonders, dass mit Hilfe innovativer Technologien ein echter Mehrwert geschaffen wird, der künftig auch anderswo im Land genutzt werden kann.", sagte Minister Thomas Strobl.

Die BSH führt das Projektkonsortium an und stellt den unternehmenseigenen Logistik-Yard am Standort Giengen als Testfeld zur Verfügung. Hier müssen jeden Tag bis zu 200.000 Hausgeräte transportiert werden, schließlich ist BSH ein führendes Unternehmen der Branche und Giengen für die Bosch-Tochter eines der zentralen Logistik-Drehkreuze. Das führt zu Personalaufwand, anspruchsvollen, zeitkritischen Prozessen und komplexen Mischverkehren auf dem Gelände. Die Ausschreibung der 5G-Projektförderung des Bundes sah Landrat Peter Polta als Chance für Akteure im Landkreis Heidenheim. Über die bestehenden Netzwerke ist das Förderprojekt entwickelt worden sowie das Konsortium entstanden. „Digitalisierung richtig genutzt und eingesetzt, bringt Wirtschaftsstandorte voran. Ich freue mich, dass im Rahmen des Projekts YardManagementHDH Innovation im Landkreis Heidenheim entwickelt und erprobt wird“, so Landrat Peter Polta.

Teleoperation: Der Fahrer sitzt jetzt im Büro

Die geladenen Gäste konnten nun das digitale Gesamtsystem live in Aktion erleben. Dabei wurde unter anderem ein automatisiert fahrender Lkw demonstriert. Der Konsortialpartner Fernride hat ein marktübliches, vollelektrisches Fahrzeug entsprechend umgebaut. Gesteuert wird der Lkw derzeit noch von der zugehörigen „Teleoperation-Station“ aus. Das ist ein stationäres, im Bürotrakt des BSH-Standorts aufgebautes Lkw-Cockpit. Kameras und Sensoren am Fahrzeug übertragen ihre Daten in Echtzeit an dieses Cockpit. Der dort sitzende „Fahrer“ gibt bei Bedarf über die Bedienelemente des Cockpits Steuerimpulse, die auf demselben Weg zurück an das Fahrzeug gesendet werden. Auf diese Art kann perspektivisch, mit zunehmendem Grad der Automatisierung, eine Person mehrere Fahrzeuge betreuen. Rund 80.000 Fahrerinnen und Fahrer fehlen derzeit in Deutschland, Tendenz rasant steigend.

5G? Mehr als Telefonie

Im ersten Schritt rollt ein Lkw teleoperiert über den Giengener Yard und übernimmt reguläre Transportaufgaben – mitten im Mischverkehr mit herkömmlichen Fahrzeugen aller Art. Dabei findet die Datenübertragung über ein unternehmenseigenes 5G-Campusnetz statt, das vom Projektkoordinator Zentrum für Digitale Entwicklung (ZDE) konzipiert wurde. Dieses Netz ist gänzlich unabhängig vom öffentlichen Mobilfunknetz, was dem Betreiber BSH volle Datenhoheit und Sicherheit bei voller 100 MHz-Bandbreite und Datenübertragung in Echtzeit garantiert. Essenzielle Faktoren, wenn es um die Steuerung schwerer Fahrzeuge geht. Die optimale 5G-Ausleuchtung des verwinkelten Areals erwies sich als knifflig. Container und die Fassaden der Logistikhallen sind aus Stahl und haben somit die Eigenschaft, Funkwellen zu reflektieren. Dies musste ebenso berücksichtigt werden wie eine Redundanz bei den Abdeckungsbereichen der Funkzellen. Sollte eine der fünf an Laternenmasten montierten und über Glasfaser mit dem Server verbundenen 5G-Antennen ausfallen, reichen die umliegenden Antennen für einen sicheren Weiterbetrieb des Netzes provisorisch aus.

Sicherheit an erster Stelle

Der Truck ist technisch in der Lage, autonom zu fahren. Zur Absicherung der Praxistests befindet sich jedoch noch ein Sicherheitsfahrer im Lkw und könnte bei Bedarf jederzeit eingreifen. Als Innovationspartner trägt mit ITK Engineering ein weiteres Bosch-Tochterunternehmen die Verantwortung für das digitale Ökosystem und somit auch für das umfangreiche Anforderungs- und Sicherheitsmanagement. Darüber hinaus entwickelt ITK ein Assistenzsystem, das die Sicherheit bei der Rückwärtsfahrt eines Lkw an ein Ladetor deutlich verbessert und so hilft, den Stand der Technik weiterzuentwickeln. Dazu wurden in Giengen Sensorik-Systeme an zwei Ladetoren installiert, die ebenfalls über das 5G-Campusnetz Daten übertragen. Wenn z. B. ein Fußgänger hinter dem Lkw den Fahrweg kreuzt, wird in Echtzeit eine Warnmeldung an ein Smartphone des Fahrers ins Fahrzeug gesendet.

Chancen und Herausforderungen

Der Standort Heidenheim der Dualen Hochschule Baden-Württemberg stellt die wissenschaftliche Begleitung des Projekts sicher. Studierende aus dem Bereich Wirtschaftsingenieurwesen erforschen derzeit, wie tragfähige Geschäftsmodelle für die Anwendung der Projektergebnisse in der Wirtschaft aussehen könnten. Eines steht dabei schon jetzt fest: Eigene Hochleistungsnetze und sichere, digitalisierte Logistikprozesse gibt es nicht zum Nulltarif, und 5G allein löst noch keine Probleme. Nicht zuletzt trägt die Vielzahl an technischen und regulativen Vorgaben in Deutschland dazu bei, dass manch einem theoretisch möglichen Lösungsansatz der Sprung in die Praxis derzeit noch verwehrt bleibt. Auch die Studierenden im Studiengang Maschinenbau und Mechatronik werden zukünftig mit in das Projekt einbezogen. „Die Studierenden arbeiten momentan sehr zielorientiert an einer Torabsicherung. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Gefahrenbereich in unmittelbarer Nähe des Tors. Ende des Jahres wird es den ersten Prototypen geben“, sagt Prof. Dr.-Ing. Rainer Kiesel, der das Forschungsprojekt an der DHBW Heidenheim leitet.

Für Konsortialführer BSH stellen sich ebenfalls wirtschaftliche sowie administrative Fragen nach dem Roll-out der 5G-Technologie und weiteren möglichen Anwendungen, die über die Projektergebnisse hinausgehen. Einigkeit herrscht dahingehend, dass die Investition in digitale Zukunftsprojekte unumgänglich für die Standortsicherung ist. Deshalb finden in Giengen seit Dezember 2023 auch erste Testfahrten von Fernride in einem autonomen Fahrzeugmodus statt. Bis diese über die Teleoperation hinausgehende Technik jedoch in die Praxis Einzug halten kann, wird noch Zeit vergehen. Einen weiteren Erfolg können sich das BSH-Logistikteam und das Projektkonsortium hinter YardManagementHDH jedoch zweifelsohne anheften: Sie haben Pionierarbeit betrieben und wissen nun um die realen Chancen und Herausforderungen von 5G und Automatisierung im Logistikbereich. Der Wert dieses Wissensschatzes ist in heutiger Zeit nicht zu unterschätzen.